Schönheit liegt im Auge des Betrachters – Funktionalität nicht

Als ich heute Morgen zwischen zwei Klienten durch das Netz surfte, fiel mir ein Facebook-Post eines Freundes mit einem recht ungewöhnlichen Video ins Auge. Die Sängerin der Band Pentatones lässt sich in diesem Clip einen schwarzen Kreis ins Gesicht tätowieren. Du hast richtig gelesen: Schwarzer Kreis – Gesicht-Tatoo. Nun, vielleicht denkst du ja, dass gewissen weniger attraktiven Menschen das auch nicht mehr schadet, aber da muss ich dich enttäuschen, denn zu dieser Gruppe gehört die Dame nicht unbedingt.

Beim Anschauen des Videos war es recht interessant zu beobachten, was mit mir passierte. Die Gedanken reichten von „Bekloppt, traurig sowas, warum nur?“ bis zu vollständigem Unverständnis und Schweigen. Interessanterweise erinnerte ich mich jedoch an viele Gespräche mit meinen Klienten, in denen es um Schönheit geht. Und den Ausspruch „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“. Tatsächlich finde ich ihn falsch. Richtig müsste er lauten: „Schönheit liegt in der kulturellen Norm“.

Fußform_schuh_kleinGanz häufig diskutiere ich zum Beispiel darüber, ob denn nun breite Barfußschuhe oder spitze „Normaloschuhe“ schön sind. „Die sehen schon schicker aus“ höre ich oft. Wirklich? Für wen? Und warum? Für mich nicht.

Tatsächlich sind Schönheitsideale nämlich extrem verschieden. Selbst unser abgesagtestes Top-Model hätte wohl kaum Heiratschancen beim äthiopischen Volk der Mursi. Warum? Na, weil sie keinen Teller in der Unterlippe hat. Umgekehrt hätte wohl die heißeste Mursi Braut mit Teller wenig Chancen bei der europäischen Männerwelt. Auch die Padaung mit ihren „Giraffenhälsen“ hätten hier wenig Chancen…was aber umgekehrt genauso gilt. Vor einigen Jahren hörte ich, wie ein schweizer Forscher in Neuguinea über ein interessantes Phänomen berichtete. Die dortigen Männer sind im Wesentlichen nackt und tragen nur einen sogenannten Penisköcher. Der Forscher trug die typische empfohlene Tropenkleidung – lange Hose und langes Hemd. Das Interessante daran: Beide sahen sich gegenseitig als nackt. Der Forscher empfand die Eingeborenen als nackt, weil sie keine Kleidung trugen, und die Eingeborenen empfanden den Forscher als nackt, weil er keinen Penisköcher trug. Beiden tat der jeweils andere leid.

Auch wenn die Sängerin im Video etwas oberflächlich die Inuit bemüht, die derartige Tätowierungen als „Portal“ für die Seele nutzen sollen und sie das auch so empfindet, kann man argumentieren, dass hier ein kulturelles Symbol in einen ganz anderen Kontext gerutscht ist, wo er nicht als schön oder irgendwie nützlich betrachtet wird. Trotzdem finde ich, steht es mir nicht zu darüber zu urteilen, denn meine Meinung bezüglich eines solchen Symbols könnte in einem anderen Kontext absolut absurd sein. Und dann auch noch von einem Un-Tätowierten.

Models

www.frankaltmann.com Ziemlicher Rundrücken/Kopf weit vor dem Körper

Worüber wir uns jedoch recht neutral unterhalten können, ist Funktionalität. Egal ob du ein mittelalterlicher Chinese oder Japaner bist und abgebundene Füße – Lotosfüße– schön findest, bleiben sie jedoch unfunktional. Du kannst auch die Bogenlampenhaltung vieler westlicher leicht unterernährter Models sexy finden, funktional ist ein Rundrücken deshalb noch lange nicht. Und auch wenn du einen leicht durch Schuhe verkrüppelten schmalen Fuß mit spitz zulaufenden Zehen einem breiten balligen Fuß vorziehst, bleibt der leicht verkrüppelte Fuß ein verkrüppelter Fuß.

Muskeln

www.frankaltmann.com Spannt man den Bauch so ständig an?

Auch das Körperideal, dass wir medial präsentiert bekommen, ist ein solches künstliches Ideal. Männer zum Beispiel sehen Männer, die auf Fotos permanent mit angespannten Bauchmuskeln posieren. Irgendwann kommt „Mann“ dann unterbewusst zu dem Schluss, dass das so sein muss und läuft permanent mit einem angespannten Bauch durch die Gegend. Das das Foto nur eine mit Airbrush und Photoshop nachbearbeitete Momentaufnahme ist, versteht Mann vielleicht kognitiv – das Unterbewusstsein glaub jedoch was es häufig sieht. Die negativen Auswirkungen auf Körperhaltung – der Bauch zieht dich nach vorn – Atmung und Verdauung (manche munkeln auch auf Sexualität) sind aber reale Auswirkungen. Sieht man Männer in idigenen Völkern, die sich an Funktionalität und nicht an Optik orientieren, sieht man solche Verspannungsphänomene selten. Ist ja auch viel zu anstrengend :)

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Penisfutteral#mediaviewer/File:Yali_man_Baliem_Valley_Papua.jpg

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Penisfutteral#mediaviewer/File:Yali_man_Baliem_Valley_Papua.jpg

Worauf will ich hinaus? Schönheit ist wie Mode: Gemacht und variabel. Ob dick, ob dünn, ob nackt oder verhüllt, all das sind variable gesellschaftliche Normen, die Veränderungen unterworfen sind. Unsere Anatomie und Biomechanik verändert sich aber nicht. Ob du einen krüppelfuß schön findest oder nicht, anatomisch bleibt er eine pathologische also krankhafte Angelegenheit und ist unfunktional. Während wir uns gerne über die Andersartigkeit der Anderen aufregen, sollten wir vielleicht häufiger auf uns selbst schauen und unsere Andersartigkeit vom Natürlichen und Funktionalen betrachten.

Ein paar kleine Gedanken am Freitagmorgen ;)

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