Weniger ist mehr und es ist nie zu spät!

Wie du weißt, war ich in den vergangenen beiden Wochen viel auf Tour durch ganz Deutschland. Etwas mehr als 3.000 Kilometer und rund 300 Vortragsteilnehmer gaben mir dabei genug Gelegenheit ein wenig nachzudenken.

Es ist schon eine interessante Gesellschaft in der wir leben. In meinen zahlreichen Gesprächen mit den Teilnehmern nach den eigentlichen Vorträgen begegneten mir immer wieder zwei große Glaubenssätze, die ich im Grunde auch in meiner täglichen Arbeit seit Jahren ständig höre. Dabei geht es zum einen um die Idee, man müsse sich immer mehr anstrengen, um etwas zu erreichen, und die vermeintliche Tatsache, dass die körperliche Entwicklung im Alter zwingend ins Negative laufen muss. Beide Annahmen sind aber grundlegend falsch.

Wir leben in einer Welt, die vom Überfluss geprägt ist. Wie ich schon in meinem Buch „Die Zick-Zack-Linie“ geschrieben habe, sind wir in unserer westlichen Welt einem nicht enden wollendem Nachschub an Nahrung ausgesetzt. Gleichzeitig sind wir mit dem Gedanken „Mehr ist besser“ infiziert. Obwohl wir wissen, dass in absehbarer Zeit keine Dürre auf uns wartet, meinen wir drei Mahlzeiten am Tag zu uns nehmen zu müssen. Was für einen körperlich schwer arbeitenden Menschen wohl noch hinkommt, ist für die meisten Bürojockeys einfach zu viel. Tatsächlich kommen wir problemlos den einen oder anderen Tag ganz ohne Nahrung aus.

Probiotische Joghurts, Wasser mit Sauerstoff und functional food wird dann noch zusätzlich und zwischendurch gegessen ebenso wie Obst.“ Ist ja gesund“. Ohnehin scheinen viele Menschen nicht zu realisieren, dass ein Vollkornbrötchen im Zweifel mehr Brennwert hat als ein normales und nur weil es gesünder ist nicht auch gleich weniger Gold auf die Hüfte gezaubert wird sondern mehr. Gleiches gilt für Obst. Ein Apfel zwischendurch geht immer und ist gesund. Ein Croissant eher nicht. Lustig, da beide vom Brennwert weniger weit ausenander liegen als man vielleicht denkt ( 1 großer Apfel = 200g = 120 kcal / 1 Croissant = 50g = 200 kcal). Fruchtzucker hat es nämlich in sich, was aus Säften auch eher Nahrung macht als „Was zum Trinken“. Statt einfach weniger von allem zu essen, verleitet uns Werbung aber dazu immer mehr zu essen mit der der Beruhigungspille versehen „ist ja gesund, das darfst du“.

Statt unsere Nahrungsaufnahme an unseren Verbrauch anzupassen und zu reduzieren, suggeriert man uns, wir müssten einfach mehr Energie verbrennen und „Sport“ treiben, um das „zu viel“ an Nahrung auszugleichen. Im Grunde soll ein „zu viel“ mit einem anderen „zu viel“ ausgeglichen werden. Also wird trainiert und trainiert….ob die Bewegung oder der Sport gesund für unser ganzes System ist bleibt im Grunde egal. Hauptsache das Herz-Kreislauf-System ist aktiv, wir verbrennen Kalorien und bauen Muskeln auf. Mein Schüler Michael Unhold hat dazu einen ganz passenden Artikel geschrieben, der die Augen öffnet.

Verletzungen, die praktisch zu den jeweiligen Sportarten gehören, wie z.B. der Bänderriss zum Fußball, die kaputte Schulter zum Rudern oder Hüft- und Knieprobleme zum Laufen, werden dabei ausgeschaltet. „Hauptsache ich bin schlank und habe Muskeln“. Nach der Nahrungsmittelindustrie und der Fitnessbranche kommt so durch dieses Lebenskonzept auch die „Gesundheitsindustrie“ auf ihre Kosten und kann mit dir Umsatz machen. Was bist du doch für ein super Konsument. Danke für deinen Dienst am Bruttosozialprodukt.

Dabei widerspricht dieses Verhaltensmuster der Natur. Wir lernen dadurch, dass es gut ist, uns anzustrengen und möglichst viel Energie zu verbrauchen. Diese „Gewohnheit“ lässt sich dann auch im Alltag erkennen. Vor einigen Jahren las ich einen Artikel, in dem Frauen beim Staubsaugen empfohlen wurde, den Po anzuspannen, um als Nebeneffekt einen strammen Po zu bekommen. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich das sexistisch oder idiotisch finden sollte. Das Gegenteil ist jedoch richtig, denn die Natur will immer weniger Energie verbrauchen. Alles ist so ausgelegt, dass es möglichst effizient ist, denn Nahrung ist ein kostbares Gut. Kein Tier, kein „indigener Mensch“ würde „trainieren“ um Muskeln aufzubauen um gut auszusehen oder um schlank zu sein. Stattdessen setzt man alles daran Bewegung im Alltag und Arbeit so effizient wie möglich zu gestalten, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Muskulatur entsteht so immer aus Funktionalität also aus einer Anforderung wie zum Beispiel einen Baum hochklettern und wird so energiesparend wie möglich ausgeführt. Muskeln aufbauen und Kalorien verbrennen zum Selbstzweck existiert nicht als Konzept. Zumindest nicht in der Natur.

Dieses Konzept führt wiederum zu einem völligen Unverständnis von Bewegen bei den meisten Menschen. Statt es wie Kleinkinder zu machen und ein Muster so oft neu zu probieren, bis man das den effizientesten und einfachsten Weg gefunden hat, bleiben die meisten Erwachsenen bei der Methodik des ersten Versuch und strengen sich dann einfach etwas mehr an, wenn sie etwas neues lernen. Das führt dann dazu, dass selbst Alltagsbewegungen wie Aufstehen und Hinsetzen statt effizient mit 20 % Körperkraft mit 60 % und viel Schwung ausgeführt werden (müssen). Geht auch so.

Allerdings rächt sich diese Taktik je älter wir werden und irgendwann werden selbst solche simplen Bewegungsmuster zur Herausforderung, nämlich dann, wenn wir nicht mehr mit Kraft protzen können. Statt mehr zu trainieren und mehr Muskelkraft aufzubauen sollten wir viel mehr lernen WIE wir uns bewegen und wie wir es noch besser machen können. 90 % der Jogger da draußen müssten wohl erst einmal eine Laufschule besuchen. Natürlich nachdem sie sich von einem Faszienspezialisten das Fahrwerk hätten richten lassen. Das würde verhindern, dass sich so viele Menschen mit verdrehten Knien, kollabierten Fußgewölben und vollkommen unfunktionaler Haltung durch Parks und um Seen herumschleppen und die Hüften und Knie zertrümmern. Mit Leichtigkeit und Bewegungseffizienz hat das nichts zu tun. So (Video) könnte und sollte es aussehen….tut es aber nicht.

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https://www.youtube.com/watch?v=CTn4y7J9xTQ

Auch im aktuellen Faszientrend läßt sich diese Tendenz finden. Wieder einmal werden die Menschen mit diversen Übungen zugemüllt, die irgendetwas machen sollen. Eine Verbindung zu alltäglichen Bewegungen gibt es aber recht selten und so bewegt sich der eine oder andere frischgebackene Faszientrainier im Alltag doch oft ebenso wenig effizient wie seine Mitmenschen. Schade eigentlich. Wieder eine Generation von Übungsweltmeistern, die Geräte und Kurse verkaufen, den Menschen aber nur bedingt Lösungen für den Alltag bieten können, denn da sind sie meist selbst ganzschön von der (Faszien)Rolle.

Diese Denkweise passt dann auch hervorragend zu einer weiteren, die mir immer wieder begegnet. Viele Menschen, die ein körperliches Problem haben, verhalten sich so, als wenn dadurch alles vorbei ist. Ein Beispiel: Eine Dame mit Arthrose in den Knien kann kein Sport mehr machen, was natürlich ganz schlimm für Sie ist. Körperstrukturell ist der ganze Mensch aus der Balance. Ihr Arzt und ihr Physio hatten ihr attestiert, dass Joggen nicht mehr drin sei. Also machte sie NICHTS. Ich entgegnete ihr etwas verwundert, dass sie ja nicht nur aus Knie bestehen würde und sie mit ihrem Körper noch wahnsinnig viel machen könne. Auch wenn die Arthrose in den Knie habe, spräche doch nichts dagegen den Rumpf mobil und beweglich zu halten ebenso wie die Hüfte oder die Fußgelenke. Möglicherweise brächte auch ein Stehen mit weniger durchgedrückten Knien und ein Gehen über den Vorfuß zur Reduzierung des Aufschlagimpulses beim Aufsetzen eine Erleichterung für die Knie. Sie schaute mich etwas verwirrt an.

Faszienarbeit Ergebnisse

Unfunktionaler und funktionalerer Stand

Ähnlich sieht es häufig aus, wenn es um Körperstruktur oder –haltung geht. Nicht selten glauben Menschen, dass diese wie von Zauberhand im Körper festgehalten werden. Oft tragen die schulmedizinischen Kollegen dazu bei, die oft aus dem operativen Praxisalltag heraus keine Mittel haben an diesen Themen nachhaltig etwas zu verändern, denn dazu brauch man Zeit. Die zahlt aber das Kassensystem nicht. Statt Menschen dann außerhalb des Systems an Experten zu verweisen bleibt man dann leider oft bei der „Da kann man nichts machen“- oder „Es ist vererbt“-These. Leider, denn meist ist es für einen Experten kein großes Thema hier schnell Verbesserungen zu erzielen und oft auch Ursachen für so manches Symptom zu beseitigen.

Viele Menschen akzeptieren nach OPs, Unfällen oder Verschleißproblemen scheinbar nur zu gern die Suggestionen von Ärzten und Therapeuten, dass es von jetzt an nur noch abwärts gehen könne. Aus meiner Erfahrung sind jedoch die meisten Kandidaten zu diesem Zeitpunkt bewegungstechnisch bereits auf einem so schlechten Niveau, dass sich tatsächlich in sehr vielen Bereichen noch sehr viel verbessern lässt. Therapie Legenden wie der große Moshe Feldenkrais BEGINNEN an so einem Punkt erst mit der Entwicklung ihrer eigenen großartigen Bewegungstherapie. Der richtige Weg wäre also zu diesem Zeitpunkt – notgedrungen – damit zu beginnen, sich mit dem Bewegen zu beschäftigen und an der Effizienz zu arbeiten. Nicht „mehr“, „stärker“ sondern „feiner“, „effizienter“.

Ich gab einmal einer Klientin, die auch Monate nach einem komplizierten noch Probleme beim Treppensteigen hatte, einmal einen sehr gewagten Tipp. Sie berichtete mir, dass sie mit ihrem Physio Kräftigungsübungen an Geräten mache, um die Beinmuskulatur zu kräftigen, um damit das Treppensteigen besser zu bewältigen. Trotzdem hatte sie weiterhin große Probleme. Mein Tipp dagegen lautete „Üben sie Treppensteigen“. Statt einfach nur von A nach B zu wollen, sollte Sie sich täglich 20 Minuten nehmen und sehr langsam und bewusst Treppen steigen. Dabei sollte sie darauf achten, die Bewegung so langsam wie möglich und mit so wenig Kraftanstrengung wie möglich zu machen. Wo immer sie merkte, dass sie noch mehr entspannen oder etwas einfacher machen konnte, sollte sie das tun. Sie war selbst erstaunt wie schnell sich das Problem in Luft auflöste. Statt irgendwelche Muskeln zu trainieren, die ggf. irgendwie auch beim Treppensteigen genutzt werden, lernte sie, diese Bewegung wieder effizient zu gestalten und trainierte natürlich dadurch die entsprechenden Muskeln gleich mit.

„Weniger ist mehr“ ist also der Leitsatz. Statt immer mehr Muskeln zu wollen, solltest du ein Augenmerkt darauf haben, mit immer weniger Kraftanstrengung durchs Leben zu kommen. Diese Illusion gilt es übrigens auch im Berufsleben zu durchbrechen. Statt mehr zu arbeiten und dadurch mehr Geld zu bekommen sollte dein Ziel sein, immer effizienter und damit von der Zeit her immer weniger zu arbeiten und dabei gleichzeitig immer mehr dafür zu bekommen. Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass wir von allen Seiten hören, dass wir mehr Leistung bringen müssen, uns mehr anstrengen und dafür mehr trainieren müssen, mehr essen und mehr Energie geben, um am Ende mehr konsumieren zu können. Das macht aus uns bessere Hamster, die in ihren Rädern schneller laufen und alles geben….auch wenn ihnen das Hamsterrad nicht einmal gehört.

Was ist also das Fazit meiner Gedanken bei 180 km/h? Wenn du dich bis ins hohe Alter gut und frei bewegen möchtest, solltest du dein Konzept, das du von Bewegen hast, möglicherweise einmal gründlich überdenken. Wenn du bereits ein fortgeschrittenes Alter im Leben erreicht hast und durch falsche Nutzung deines Körpers bereits einige Zipperlein hast, solltest du dir ebenfalls Gedanken darüber machen, ob dein Bewegen so effizient ist, wie es sein sollte. Und du solltest dir im klaren sein, dass es IMMER noch etwas zu verbessern gibt. Die Spirale dreht sich nie nur abwärts und das Alter an sich hat mit deinem Zustand absolut nichts zu tun, wie du ja vielleicht bereits in meinem E-Book „Die 5 größten Mythen über Rückenbeschwerden“ gelesen hast.

Also :) Augen geradeaus, Kopf hoch und los geht’s. ES gibt noch viel zu tun.

 

 

 

 

 

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